Stadtklima
Fakten zu Behauptungen rund um das Thema Stadtklima.
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Faktencheck
Zusätzlich zum Klimawandel heizt sich die Stadt durch die Nachverdichtung immer weiter auf.
Wichtige Frischluftschneisen werden zugebaut, wir drohen am eigenen Erfolg zu ersticken. Kalte Luft aus dem Umland kann gar nicht mehr zu uns kommen, dadurch wird es in München in Zukunft unerträglich.
Die Bedeutung von Frischluft- und Kaltluftschneisen für das Münchner Stadtklima ist zwar unbestritten, dies bedeutet jedoch nicht, dass keine Bebauung von Freiflächen mehr möglich ist. Die vorhandene Datenlage lässt keine pauschalen Aussagen zu.
Die Erklärung für Interessierte:
Großstädte tragen einerseits zur globalen Klimakrise bei. Andererseits sind die Folgen dieser Krise vor allem in städtischen Gebieten zu spüren. Da Beton-, Glas- und Metalloberflächen in dicht bebauten Gebieten häufiger vorhanden sind als auf dem Land und sie Wärme speichern, bilden sich sogenannte Hitzeinseln im Stadtgebiet. Dadurch ist die Temperatur dort um bis zu zehn Grad Celsius höher als im direkten Umland.
Die folgende Abbildung zeigt in violett, wo sich im Münchner Stadtgebiet Flächen befinden, an denen die Hitzebelastung vergleichsweise hoch ist:
Quelle: LH München
Um diesen Entwicklungen in München entgegenzuwirken, wurde im Rahmen des 2021 vorgestellten Stadtentwicklungsplan 2040 (STEP 2040) das Ziel festgelegt, versiegelte Flächen verstärkt zu begrünen sowie Frischluftschneisen und Kaltluftleitbahnen in der Stadt zu erhalten und auch neu zu schaffen.
Neben städtischen Initiativen zeigt eine von der privaten FOM Hochschule durchgeführten Umfrage aus dem Jahr 2021, dass sich auch die Mehrheit der Münchner bewusst ist, dass sich das Klima wandelt und dies zu Konsequenzen führen wird.
Dass „München dringend kühler werden muss“ zeigen auch die Ergebnisse einer im September 2021 vorgestellten Studie mit dem Titel „Grüne Stadt der Zukunft“. Im Kern wurde in der dreijährigen Untersuchung der Frage nachgegangen, wie eine Stadt wie München die doppelte und gegensätzliche Herausforderung bewältigen kann, dringend benötigten Wohnraum und Klimaschutz zu vereinen. Hierzu haben Fachleute der Stadt, der Technischen Universität (TU) sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin verschiedene Münchner Stadtquartiere als Reallabore genutzt und sie hinsichtlich ihrer Klimaanpassungspotentiale untersucht. Dazu gehörte bspw. die Simulation der Effekte begrünter Fassaden und bepflanzter Dächer oder die Verschattung von Häusern durch Balkone.
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass es möglich ist, eine wachsende Stadt an den Klimawandel anzupassen. Ein wichtiger Baustein könne bspw. die Reduzierung der Fahrzeuge im öffentlichen Raum sein. Die Stadt hätte über die Stellplatzsatzung und die darin festgelegte Mindestanzahl an Parkplätzen pro neu gebautem Haus die Möglichkeit, die Zahl der Autos im Stadtgebiet zu verringern und mehr Grünflächen in den Bebauungsplänen vorzusehen. Zudem müssten sich die Planungsverfahren so ändern, dass Grünflächen als Infrastruktur eingeordnet werden und ähnlich wie Wasser oder Strom gleich zu Beginn der Planung mit einbezogen werden.
Am Beispiel Moosach wurde in der Studie gezeigt, dass eine Nachverdichtung dazu führen könnte, dass die gefühlte Temperatur dort im Freien durchschnittlich um bis zu knapp fünf Grad Celsius steigt. Für das Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) der Stadt bedeutet diese Erkenntnis, dass „aufgelockert“ gebaut werden sollte. Das bedeutet, neue Gebäude sollten die Hausreihen zukünftig nicht schließen und sollten in dem untersuchten Block nicht höher als 15 bis 18 Meter gebaut werden, um die Windbahnen nicht zu beeinträchtigen. Zudem sollten, wie bereits oben erwähnt, Fassaden begrünt, Dächer bepflanzt und Bäume erhalten werden.
Welchen Beitrag ein bepflanztes Dach oder eine begrünte Fassade zur Minderung der Erwärmung in der Stadt haben kann, zeigt die Studie deutlich. So wiesen Dächer mit und ohne Bepflanzung im „Reallabor“ Moosach bspw. Oberflächentemperaturunterschiede von bis zu 20 Grad Celsius auf.
Ebenfalls plädierten die Wissenschaftler dafür, die Gesamtemissionen von Gebäuden bei der Planung stärker zu berücksichtigen und sich nicht nur auf den Energieverbrauch während der Nutzung zu konzentrieren. Diese sogenannte Graue Energie werde heutzutage nur unzureichend bei der Energiebilanzierung mit eingerechnet und sollte daher baugesetzlich verpflichtend werden. Zudem würden Kommunen die eigenen Möglichkeiten zur Klimaanpassung bislang nur unzureichend nutzen. So wäre es z. B. laut Baugesetzbuch bereits möglich, ein Gebiet auf Grund klimatischer Probleme städtebaulich zu sanieren.
Frischluft- und Kaltluftschneisen in München
Bebaute Siedlungsflächen können über Frischluftschneisen bzw. -bahnen mit Frischluftflächen und über Kaltluft(leit)bahnen mit Kaltluftentstehungsflächen verbunden sein. Durch den Luftaustausch zwischen der Siedlungsfläche und der Frischluft- bzw. Kaltluftentstehungsfläche verbessert sich das Klima im Siedlungsgebiet.
Während Frischluftschneisen lufthygienisch unbelastete, aber thermisch nicht näher differenzierte Luftmassen leiten, leiten Kaltluft(leit)bahnen kühle, aber lufthygienisch nicht näher differenzierte Luftmassen.
Frischluft wird vor allem in Wäldern und größeren Gehölzflächen „produziert“, die meist im Umfeld von Städten liegen. Durch Frischluftschneisen wird diese Luft in die Städte transportiert. Aber auch gehölzreiche innerstädtische Grünzüge und Parkanlagen eigenen sich zur Reduzierung von schädlichen lufthygienischen Belastungen.
Kaltluft bildet sich insbesondere über gehölzfreien Flächen mit niedriger Vegetation, wie bspw. Wiesen und Feldern. Insbesondere nachts, wenn große Temperaturunterschiede zwischen der warmen Stadt und dem kalten Umland vorliegen, kann das Stadtklima positiv durch den durch Kaltluft(leit)bahnen ermöglichten Luftaustausch beeinflusst werden. Als Kaltluft(leit)bahnen können sowohl gering bebaute vegetationsgeprägte Freiflächen, Kleingärten und Friedhöfe als auch Gleisareale und breite Straßenräume dienen. Geneigte Geländeprofile (Gefälle) können die Strömungsgeschwindigkeit in Richtung der Siedlungsflächen begünstigen.
Da Kaltluft schwerer ist als erwärmte Luft, fließt sie nur bodennah ab. Bereits kleine Barrieren können daher die Kaltluft(leit)bahn in ihrer Funktionsfähigkeit beschränken. Laut der im Jahr 2014 veröffentlichten Stadtklimaanalyse wurden in München 15 Kaltluftleitbahnen sowie zwei weitere übergeordnete Flächen mit Luftaustauschpotenzial ausgewiesen. Bei diesen Kaltluftleitbahnen handelt es sich in der Mehrzahl um unverbaubare Leitbahnen wie Gleistrassen, die Isarauen oder Friedhöfe.
Aufgrund der kleinteiligen Wirkmechanismen sind pauschale Aussagen zur Bebaubarkeit oder Unbebaubarkeit von freien Flächen grundsätzlich nicht möglich. Eine Beurteilung ist nur mit einer Untersuchung von möglichen Barrierewirkungen an konkreten Stellen möglich.
Was tut die Landeshauptstadt München
Unabhängig von Nachverdichtung oder neuen Bauvorhaben wird nach heutigem Stand der Sommer in München bis zum Jahr 2030 um durchschnittlich einen Monat länger werden. Hinzu kommen häufigere Spitzentemperaturen von über 30 Grad und eine höhere Durchschnittstemperatur bei weniger Niederschlägen. Dies ist jedoch seit langem bekannt, und daher hat die Stadt seit 2008 300 Millionen Euro für den Klimaschutz aufgewendet. In den kommenden Jahren sollen weitere Maßnahmen folgen, um z. B. die städtischen Bäche wieder an die Oberfläche zu holen. Daneben tragen aber auch Neubaumaßnahmen und neue Quartiere durch begrünte Fassaden, Niedrigenergiestandards und die Versorgung mit erneuerbaren Energieträgern zu einer Verbesserung bei. Alte Strukturen, die dazu führen, dass es zu lokalen Temperaturanstiegen kommt, können so aufgelöst und neue Ansätze im Städtebau angewendet werden.
Im Jahr 2014 hat die Landeshauptstadt eine stadtklimatische Studie fertiggestellt, die sich nicht nur mit den mikroklimatischen Bedingungen innerhalb der einzelnen Stadtviertel, sondern auch mit größeren Luftaustauschkorridoren wie Kaltluft(leit)bahnen beschäftigt hat. Darüber hinaus wurde 2020 vom Referat für Gesundheit und Umwelt eine weitere Untersuchung vorgestellt, die konkret die Auswirkungen des Klimawandels auf die Stadt aufgezeigt und unter anderem das sogenannte Alpine Pumpen als Effekt messbar gemacht hat. Diese Ergebnisse und andere Erkenntnisse werden für zukünftige Bauvorhaben herangezogen, so dass gerade die wichtigen Verbindungen ins Umland, die frische und kühle Luft bis in die Altstadt tragen, nicht verbaut werden. Dies ist bereits heute gängige Praxis bei allen größeren Entwicklungen.
Um den klimatischen Herausforderungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch besser begegnen zu können, hat die Landeshauptstadt München im Jahr 2021 zudem das Referat für Klima- und Umweltschutz neu gegründet. Laut der Klimaschutzreferentin Christine Kugler hat sich das Referat für das Jahr 2022 vorgenommen, Anreize für Fassaden- und Dachbegrünungen und die Entsiegelung von Hinterhöfen zu schaffen. Im Januar 2022 hat der Stadtrat ein Klimapaket mit 68 Einzelmaßnahmen und Investitionen von rund 500 Millionen Euro bis 2025 beschlossen. Unter anderem soll dabei auch die Zahl der Mitarbeiter des Referats für Klima- und Umweltschutz um knapp 70 verstärkt werden.
Kern des Beschlusses ist eine neue kommunale Wärmestrategie. Diese sieht vor, dass München als erste deutsche Großstadt bei der Beheizung von Gebäuden ohne Heizöl und Erdgas auskommt. Zudem sollen die Heizkosten sozialverträglich gestaltet werden. Ein weiterer Bestandteil des Klimapakets ist ein kommunales Förderprogramm, das neben der Bundesförderung den Umstieg auf erneuerbare Energien, sei es beim Neubau oder bei der energetischen Sanierung, unterstützen soll.
Bereits im Oktober 2021 hatte der Münchner Stadtrat einen Entwurf des Referats für Stadtplanung und Bauordnung verabschiedet, der in München auch im Gebäudesektor bis zum Jahr 2035 für Klimaneutralität sorgen soll. Hierzu gehört bspw. ein Klimafahrplan, der bei zukünftigen genehmigungspflichtigen Bauvorhaben erstellt und angewendet werden muss. Dies soll dazu führen, dass neue Bauvorhaben die Schädigung des Klimas nicht nur möglichst geringhalten, sondern auch zu einer besseren Belüftung, einer geringeren Temperatur und dem Schutz vor Sturm und Wassermassen beitragen. Das Referat für Klima- und Umweltschutz soll den Klimafahrplan insbesondere bezüglich der Klimaanpassung und Energie von Beginn an begleiten. Allerdings muss die Stadt an dieser Stelle zwei unterschiedliche Ziele in Einklang bringen: So strebt das Planungsreferat das Ziel an, jährlich 8.500 neue Wohnungen in München zu bauen. Außerdem soll das Neubau-Ziel für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und Gewofag von 1.250 auf 2.000 Wohnungen jährlich erhöht werden.
Der Beschluss rief daher auch Kritik aus der Opposition hervor:
- So äußerte Heike Kainz (CSU) „Bedenken, wie das RKU das schaffen soll“. Außerdem würden sich die Planungszeiten auf Grund der neuen Vorgaben noch mehr in die Länge ziehen.
- Für Brigitte Wolf (Die Linke) sind die neuen Maßnahmen im Bereich der energetischen Sanierung von Bestandgebäuden nicht ausreichend. Gerade in der Bestandssanierung sieht sie allerdings den momentan größten Handlungsbedarf.
Für die Stadtbaurätin Elisabeth Merk bedarf es zur Umsetzung des Stadtratsbeschlusses weiterer Strukturen und Ressourcen. Dazu gehöre unter anderem auch die Gründung einer städtischen Energie- und Sanierungsgesellschaft. Außerdem müsse sich die Zahl der Aufträge für Quartierskonzepte deutlich erhöhen. Bislang hat der Stadtrat das Planungsreferat lediglich mit Konzepten für sechs Quartiere beauftragt. Um in München bis 2035 klimaneutral zu werden, bedürfe es laut Merk allerdings jährlich bis zu 30 solcher Quartierskonzepte.
Nutzung von Fernkälte
Eine weitere Maßnahme, um die Folgen der steigenden Temperaturen in der Stadt abzumildern, ist das von den Stadtwerken München (SWM) betriebene Fernkältenetz in der Innenstadt. Fernkälte unterliegt einem ähnlichen Prinzip wie die Fernwärme: Wasser wird zunächst in einer Kältezentrale abgekühlt und dann per Rohrleitung an die Verbraucher transportiert. Das erwärmte Wasser fließt anschließend zurück zur Kältezentrale und wird erneut abgekühlt und wieder ausgeliefert.
In den letzten zehn Jahren haben die Münchner Stadtwerke im Großraum München mehr als 24 km Fernkälteleitungen verlegt. Heute gibt es in der Innenstadt drei Kältezentralen (am Karlsplatz, in der Herzogspitalstraße und am Odeonsplatz), die jeweils an den unterirdisch fließenden Westlichen Stadtgrabenbach angeschlossen sind. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts gab eine Vielzahl kleinerer Flüsse in München, um die Stadtbewohner mit Wasser zu versorgen. Im Laufe der Zeit wurden diese allerdings alle trocken gelegt. Mittlerweile findet aber wieder ein Umdenken statt, sodass es Überlegungen gibt, die ehemaligen Wasserläufe wieder freizulegen bzw. zu reaktivieren. Diese könnten dann, wie der Westliche Stadtgrabenbach zur Kühlung von Gebäuden genutzt werden. Im Jahr 2019 versorgten die SWM rund 30 Gebäude mit Kälte.
Der Vorteil der Fernkälkte liegt darin, dass zentrale Kühlanlagen, die mehrere Gebäude gleichzeitig kühlen weniger Platz benötigen und weniger Strom verbrauchen. Klimaanlagen in der Stadt sind hingegen kontraproduktiv, da sie Strom benötigen und gleichzeitig Wärme produzieren.
Die Kühlung durch das Bachwasser birgt allerding auch Risiken: So erwärmt sich das sonst 12 Grad kalte Wasser des Westlichen Stadtgrabens beim Verbraucher um rund sechs Grad und wird dann wieder in den Bach geleitet. Für das Ökosystem kann dies zum Problem werden. So ist bereits bekannt, dass Fische nur bei Wassertemperaturen von weniger als 21 Grad Celsius laichen. Zwar haben Messungen gezeigt, dass dieser Wert an manchen Tagen und Stellen durchaus überschritten werden kann, jedoch scheint die Temperatur des Stadtgrabens zum überwiegenden Teil durch die Außentemperatur beeinflusst zu werden. Sollte der Wasserlauf in Zukunft für immer mehr Gebäude als Kältequelle dienen, so ist allerdings auch denkbar, dass dies Auswirkungen auf das Ökosystem Bach haben könnte.
Neben dem Bachwasser nutzen die SWM auch das Grundwasser, um die Stadt mit Kälte zu versorgen. Sogenannte Dükeranlagen sind an Orten zu finden, wo U-Bahnen im Grundwasser liegen. Das in den Anlagen gesammelte Grundwasser wird zu Wärmetauschern geleitet und im Anschluss um wieder in den Düker eingespeist. Das nun um sechs Grad erwärmte Grundwasser wird anschließend durch Rohre zurück in den Untergrund geleitet.
Laut den Stadtwerken ist die Nutzung von Fernkälte „ein geschlossenes System“, da „es keinen Wasseraustausch mit Stadtbach oder Grundwasser gibt und somit keinen Eingriff in die Wasserökologie.“ Allerdings haben Wissenschaftler der Uni Wien nachgewiesen, dass an Orten, wo erwärmtes Grundwasser in den Untergrund geleitet wird, sogenannte „Wärmefahnen“ entstehen und die Artenvielfalt signifikant zurückgegangen ist. Um mögliche Risiken und Gefahren frühzeitig zu erkennen, plädiert Kai Zosseder von der Technischen Universität München daher dafür, den weiteren Ausbau von Fernkälte zu überwachen und die ökologischen Auswirkungen im Blick zu behalten.